Veit Stiller

2009 – DIE SEHNSUCHT DES ARCHAIKERS (DIE WELT)

Ateliergespräch mit dem Maler Wolfram Ebersbach

Unterführungen, Passagen und Höfe, Innenräume von Museen, Denkmalen und Messehäusern, und immer wieder der Leipziger Hauptbahnhof: gemalt in Schwarz- und gelegentlich auch Grau-Tönen, oft mit pastos aufgetragenen, stark strukturierten Farben. So zeigt sich das Werk der letzten Jahre von Wolfram Ebersbach. Menschen und Insignien von Zeitgeist übersieht er. Seine Motive sind Orte – und die entstandenen, hoch verdichteten Bilder sind selbst wieder Orte. An denen man sich begegnen oder treffen kann. Wer ist Wolfram Ebersbach und wie kam er zur Kunst und diesen Bildern?

 

„In Zwickau gab es eine Mal- und Zeichenschule, die wurde von Carl Michel geleitet. Mein Bruder war da und so ging ich auch hin. So kam ich zur Kunst. Eigentlich hatte ich technische Interessen, aber nach einer Kinderlähmung begann ich eine kaufmännische Lehre. Glücklich war ich dabei nicht. Ich habe immer meinen großen Bruder bewundert (Hartwig Ebersbach; V. S.) und van Gogh und ich fing an, zu malen wie der. Durch Michel lernte ich auch Siegfried Klotz kennen und der riet mir zum Studium. Mein Bruder hat mich dann Bernhard Heisig vor-gestellt. Zur Prüfung war ich mit Plenkers, aber der ging dann nach Dresden.“

 

Waren Sie von zu Hause aus mit Kunst „vorbelastet“? „Vater war Lehrer, Mathe und Geschichte. Mütterlicherseits wollten alle Männer immer Maler werden; das ging aber nicht, sie waren Bauern. Ich war eher still, nicht so aufmüpfig wie mein Bruder. Es war für mich nicht so leicht, ich musste immer viel arbeiten, an mir. Aber ich empfand Lust dabei und war glücklich.“ Bernhard Heisig war also Ihr Lehrer? „Nein. Er war einige Zeit weg von der Schule und Mattheuer übernahm die Fachklasse Malerei. Mattheuer ließ jeden machen, sich selbst finden, griff nur lenkend ein. Die Dresdener Szene interessierte mich. Durch Klotz bekam ich Einblick in den Studienbetrieb, lernte Kretzschmar und Hans Theo Richter kennen. Die haben mich sehr beeinflusst, Richter besonders im Zeichnerischen. Wie der mit dem Raum und dem Licht umging… Das akzeptierte Mattheuer. Durch die Freiheit bei ihm bin ich auch von der Konkurrenz mit meinem Bruder weg gekommen.“

 

Wer hat sie sonst noch beeinflusst? „Herny Moore. Der konstruktive Umgang mit der Figur; grafisch war er nahe bei H. T. Richter. Und die frühen Giacometti-Zeichnungen hinterließen Spuren. Auch Kettner lernte ich kennen… Die Dresdner Schule prägte meinen Umgang mit dem Raum.“

 

Und die Leipziger Schule? „Durch Mattheuer bin zur Landschaft gekommen. Zeitgefühl in die Landschaft bringen, zum Beispiel bei künstlichen Landschaften, wie sie der Bergbau hinterlässt. Ich habe in der Braunkohle mal eine Zeit mit gearbeitet, weil ich wissen wollte, wie das geht. Da sind viele Bilder entstanden, im Studium und danach noch. Das brachte mir den Spitznamen ein: Braunkohlen-Ebersbach.“ Und was kam danach?

 

„Stille Landschaften. Und dann Warteraum-Situationen, Bahnhöfe, Passagen, Stadträume. Das sind für mich auch Metaphern für menschliche Situationen. Befindlichkeiten hab ich in Bildern abgearbeitet. Ich war immer mit einem Block unterwegs, hab vor Ort Aquarell-Skizzen gemacht, danach entstanden im Atelier Arbeiten auf Papier und schließlich Malereien auf größeren Leinwänden. Die Passagen, Straßenschluchten, Denkmale, Bahnunterführungen und der Leipziger Hauptbahnhof, das waren alles Sehnsuchtsbilder.“

 

Ach? „Wenn man aus einem Dorf, Lichtentanne bei Zwickau, das ja auch eine Kleinstadt ist, nach Leipzig kommt… Da ist der riesige Bahnhof, und da fahren Züge nach Paris… Und dann die Passagen, wo Leute flanieren und Kaffee trinken… Das hat mich fasziniert, von Anfang an, und ich wusste: das musst du malen. Aber zuerst hab ich es mir nicht zugetraut. Dann wurde es mein Thema. Die Figur wurde allmählich zum Zeichen, der sie umgebende Raum ebenso. Nach der Wende beschäftigten mich auch geschichtsträchtige Orte: der Parthegraben, durch den die Juden vor der Deportation getrieben wurden, Völkerschlachtdenkmal, Reichsgericht, Nikolaikirche. Geschichtlichkeit, subjektiv erlebt, widerzugeben hat mich interessiert.“

 

Aber erst mal? „Kamen Nachtbilder. In einem huscht ein Schatten vorbei, das bin ich selbst. Aber ich konzentrierte mich immer mehr auf Architektur, und die wurde immer strenger. Die Inszenierung von Lichtverhältnissen gewann eine immer größere Bedeutung.“ Durch die Art des Farbauftrags erscheinen Ihre Gemälde wie Reliefs. „Das hat sich so entwickelt. Ich habe früher schon Bilder mit dem Scheuerbesen gemalt, als die Farbe dicker wurde. Irgendwann hab ich gemerkt: damit kann man Flächen durch Richtung der Strukturen abgrenzen und nicht durch schwarze Rahmen.“ Auf mich wirken Ihre Bilder wie ein Ausrufezeichen: das bleibt. Nicht Zeitgeist-Schnörkel, sondern ursprünglich Strukturelles. „ – “ Ich danke für das Gespräch.

 

Berlin, Mai 2009

 

Für: DIE WELT, Juni 2009