Veit Stiller

2002 – ROLLENSPIEL UND GROSSE GESTEN (KATALOG)

Cornelia Schleime und Norbert Bisky

Zwei Künstler, eine Ausstellung.

 

Zwischen Cornelia Schleime und Norbert Bisky liegen Welten. Dass ihre Bilder dennoch auf den ersten Blick verwandt erscheinen, gibt dem Dialog zwischen ihnen Reiz und Spannung, provoziert Nachdenken.

Mit einer nicht zu übersehenden Vorliebe malt Cornelia Schleime Frauen. Es sind aber keine Bildnisse oder Porträts im üblichen Sinne. Stark und schön sind die Frauen, jede für sich und jede auf eine andere Art. Und dennoch wirken sie alle sehr verletzbar und zerbrechlich. Sie selbst sagt dazu: “Ich sehe mit männlichen Augen auf den weiblichen Körper, weil die Kunstgeschichte männlich ist. Von Männern geschrieben, seit Jahrhunderten. Aber auch Verführung ist immer dabei, in jedem Bild.” Das ist vor allem anderen die Verführung, Abgründe zu entdecken und zuzulassen. Etwas Magisches ist in den Bildern, das den Blick immer wieder anzieht. Das unterscheidet Cornelia Schleimes Malerei grundsätzlich von ihren Papierarbeiten. Leicht und flirrend erscheinen die Zeichnungen und Aquarelle, zuweilen kapriziös. Die Bilder dagegen sind handfest und trotz aller Poesie bodenständig – “erdig” sagt sie selbst, und: “Ich suche die Magie des Bildes. Jedes Bild kommt, entsteht tief aus meinem Inneren heraus – und führt am Ende der Arbeit schließlich wieder dahin zurück. Die Augen öffnen den Weg nach Innen.”

 

Es sind jedoch nicht die Augen allein, die den Betrachter in das Bild hinein, in die Geschichte hinter dem Anschein ziehen, sondern in erster Linie das Wesen der Frauen, ob im Nonnenhabit, in Uniform oder lässig elegantem Zivil; es ist ihre Aura. Und die wird immer durch diverse Accessoires gebrochen und damit letztlich jedoch hervorgehoben. Nicht selten sind die Frauen von unerbittlicher Strenge – hinter der immer warme, weiche Weiblichkeit schlummert und auf Erweckung zu warten scheint. Wenn die Aura der Frauen so magisch fasziniert, dann wird sie zwar durch vieles verstärkt, bezieht ihre Kraft aber immer aus deutlich spürbarer Authentizität. Jedes Bild ist ein Rollenspiel.

Wie Schauspieler in der Verkörperung den Figuren Leben verleihen, so tut es Cornelia Schleime mit den Figuren ihrer Bilder. Sie spielt Verkleidungen, Situationen, Charaktere durch, auch eigene Visionen, Kindheitsmuster und -erinnerungen. Heinz Rühmann sagte einmal, Schauspieler seien Leute, die einen Zipfel Kindheit bewahrt und zum Beruf gemacht hätte: das Spielen. Und wie im kindlichen, liegt auch im professionellen Spiel ein heiliger Ernst, der alles außer Acht lässt, was nicht zum Spiel gehört, aber Fremdes Einbindet, wenn es dem Spiel nützt. Und in diesem Sinne sind die Zutaten zu verstehen, die Cornelia Schleimes Damen schmücken. Frisuren, Kleidung, Vögel und dergleichen mehr sind mit dem Gesicht collageartig zusammen montiert, um einen bestimmten Seelenzustand auszudrücken. “So taste ich mich Stück für Stück an den Menschen heran. Und allmählich werde ich besser. Es gibt eine Bildidee, den Tod des Marat. Das Gewissen der Revolution von Charlotte Corday in der Badewanne erstochen. Irgendwann werde ich das malen. Aber jetzt ist es noch zu früh.”

Da Cornelia Schleime immer der Frage nachgeht: Wer bin ich und was ist der Mensch, liegt mit diesem Bekenntnis erstens eine neue Frage in der Luft (in welche Rolle wird sie schlüpfen, Marat oder Corday?) und zweitens wie wird sie die zweite Figur realisieren? Denn bisher sind die Figuren in ihren Bildern Einzelgänger. Manchmal meint man in den Frauen sogar Einzelkämpferinnen zu erkennen. Was wie Realismus erscheint, ist Poesie. Poetischer Realismus; “gebrochener Realismus” sagt Cornelia Schleime, “purer Realismus ist mir zu platt. Was mich an Menschen interessiert, ist die Psyche, das Dämonische, Zwanghafte. Ich will die Menschen als Grenzgänger zeigen.” Hoch zivilisierte Wesen mit einem großen, nicht immer auf Anhieb erkennbaren archaischen Anteil. Aus dem kommt die mitreißende Kraft der Bilder von Cornelia Schleime. Natürlich, und wer so komplex arbeitet, kann wohl gar nicht anders, hat auch technischen, handwerklichen Dingen in diesem Spiel eine wesentliche Rolle zugedacht. Aber die sieht man nicht, sie wirken nur und seien daher an dieser Stelle außer Acht gelassen.

Sieht Cornelia Schleime ihre Bilder mit Vorbehalten als eine Spielart von Realismus, ist Norbert Bisky gegen diesen Begriff allergisch. “Ich bin kein Realist. Mich als solchen zu bezeichnen, wäre das schlimmste, was man mir antun könnte”, meint er kategorisch und hat Grund dazu. Er ist mit seinen Bildern immer wieder in die Tüte “Sozialistischer Realismus” gestopft worden.

 

“Der Anlass, so zu malen, war schon die Propaganda-Malerei. Wenn Kunst für einen Zweck benutzt wird, um Werbung zu machen, für Waschmittel oder Kommunismus, dann wird sie misshandelt. Wenn dieser Zweck dann wegfällt, bleibt die Kunst übrig”, erklärt Bisky zur philosophischen Grundlage seiner Malerei. Und um seinen Stil zu entwickeln, hat er Anleihen genommen bei jenem “pathetischen” Realismus, der in den 1920er Jahren entstand, und der diskreditiert wurde, weil Nazis und Stalinisten ihn für sich beanspruchten, der in England und Amerika aber noch lange nach dem Kriege gepflegt wurde. Es ist jene Art der Darstellung des Menschen, in der die Figur aller Individualität entledigt wird, die dafür aber durch eben diese Verallgemeinerung und die Art der Posen den Mensch als gottgleiches “Überwesen” erscheinen lässt.

Biskys Figuren sind immer gleich, weil es immer das gleiche Modell ist. Die Posen sucht er sich oft im Sport oder der Arbeitswelt, um die Bewegung ins Bild zu bringen. “Außerdem entgehe ich so der Notwendigkeit von Milieuschilderungen, die mich nicht interessieren. Es geht mir nicht darum, irgendwelche Realitäten abzubilden. Ich mache nur Sachen, die es nicht gibt. Alles ist künstlich. Es gibt eine Idee und der folgend die Malerei.” Norbert Biskys Figuren sind minimalistisch gemalt und hoch abstrahiert. Er hat seinen Stil nicht vom Figürlichen her entwickelt, sondern kommt von der freien Abstraktion. Er malt schnell, mit dünner Farbe („Immer Öl, das bremst mich, sonst geht es zu schnell”) und gibt auch der rohen Leinwand gestalterische Aufgaben.

Posen sind für Bisky Zeichen. Und die interessieren ihn, mit denen setzt er sich auseinander, auch wenn das in Deutschland zuweilen heikel ist und mit Tabus besetzt. “Tabus sind Grenzen, die man nicht akzeptieren darf; man muss sie durchbrechen. Denn, je mehr man sie hochhält, desto mächtiger werden sie. Ich bin in einer Diktatur groß geworden, dass muss ich aufarbeiten. Mit welcher Macht hatten die Nazis die Bilder ausgestattet! Was haben Eltern oder Großeltern getan? Wie geht man mit Klischees, mit Vorurteilen um?” Bestimmte Gesten sind eben eindeutig definiert und wer sie benutzt, identifiziert sich damit. Das geschieht im Alltag und folglich auch als Zitat in Biskys Bildern. Mit dem Pinsel Politik machen oder Kommentare zum Zeitgeschehen geben, will er dabei keinesfalls. Aber was ihn umgibt und beschäftigt, das fließt unwillkürlich mit in seine Arbeit ein, und in der Ästhetik von Glanzjournalen und TV-Sendungen sieht er durchaus eine Fortsetzung des “pathetischen” Realismus. So wird schließlich noch eines offenkundig: Norbert Biskys formaler Rückgriff auf einen früheren Stil ist ein, ist sein Mittel, sich Distanz zur Gegenwart zu schaffen und dieser in seinen Bildern habhaft zu werden.

So stehen hier nicht nur zwei Kunstauffassungen und zwei Persönlichkeiten über ihre Bilder im Dialog miteinander. Es kommunizieren auch die Arten, der Gegenwart beizukommen, Sein und Schein, Hintergründe und Abgründe, Süchte und Sehnsüchte, erfassen und darstellend aufzeigen. Und auf regelrecht wundersame Weise ergänzt und bereichert Eines das Andere.

Berlin, Januar 2002

Für: Katalog „Cornelia Schleime und Norbert Bisky“, Potsdam 2002