Veit Stiller

2003 – DIE ERSCHAFFUNG DES KÖNIGS (DIE WELT)

Ein Ateliergespräch mit Walter Eisler – „Die Bilder finden mich“

Ein Mann steht an der Staffelei und malt. Sein Gesicht ist konzentriert und gespannt. Zugleich steht er aber hinter sich, die gespreizten Finger abwartend aneinander gelegt, und sieht, kritisch wertend, sich selbst beim Malen über die Schulter. „Der innere Zensor“ heißt dieses Doppel-Selbstporträt von Walter Eisler. Es verrät, wie er sich selbst sieht – und viel über seine besondere Form der Bildsprache. Diese beruht auf dem Zusammenspiel der einzelnen Elemente, die trotz realen Bezuges immer ausdrücklich zeichenhaft sind, in thematischen Bildern ebenso wie in Stadt- und Industrieszenerien, weiten Landschaften oder Königsbildern.

 

„Ich war mir nie sicher, wohin das geht. Mein erstes Bild war die Brücke im Leipziger Auenwald…“, erinnert sich Eisler. Geboren wurde er 1954 in Leipzig. „Eigentlich wollte ich schon immer Maler werden, aber keinesfalls auf direktem Wege. In der Keramikwerkstatt meiner Mutter habe ich als Kind Teller bemalt, mit allem, was mich damals sehr bewegte: meist Autos und Flugzeuge.“ Sein Vater, der Maler Bernhard Heisig beobachtete es mit Interesse. Als Eisler jedoch flügge wurde, wollte er nur eins: weg von zu Hause. Er ging zur Leipziger Sportschule DHfK, studierte danach an der Technischen Hochschule Merseburg „Verfahrenstechnik“: Mathematik, Physik und vor allem Chemie. Resultiert die Vorliebe für Industrieanlagen mit ihren labyrinthischen oder an Sakralbauten erinnernden Strukturen aus dieser Zeit? „Es gab da einen Zeichenzirkel und den besuchte ich. Da war ich schon infiziert, aber ich kam aus der Schule nicht raus. Es war Exmatrikulations-Stop, weil in der Industrie jeder gebraucht wurde.“

Walter Eisler zeigte seine Zeichnungen dem Vater, der war besonders von den Porträts angetan, riet, an die Kunsthochschule zu gehen und setzte sich ein, das zu ermöglichen. Eisler begann an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst sein Malerei-Studium – mit einer Gipsbüste von Sokrates. „Durch den Vater hatte ich eine Richtung, aber mehr nicht. In seinem Keller richtete ich mir ein kleines Atelier ein, um in Ruhe arbeiten zu können. Da entstanden vor allem Selbstbildnisse. Aber ich habe mich auch mit Rembrandts Porträts auseinander gesetzt, mit Manet und Monet, später mit den Postimpressionisten, mit Vuillard und Bonnard.“ Nach dem Studium (unter andrem bei Heisig sen., Stelzmann und Peuker) wurde Eisler Meisterschüler bei Tübke – und danach der Ehre teilhaftig, ihn bei seinem Mammut-Gemälde zum Deutschen Bauernkrieg zu assistieren. „Das erste Jahr waren Vorbereitungen in Leipzig, da ging es nur um zeichnen, riesige Kohlezeichnungen; das interessierte mich! Aber in Bad Frankenhausen vermisste ich schnell meine eigene Arbeit, die ich vernachlässigt hatte. Ich habe bald da aufgehört, gegen den Widerstand Tübkes.“

In einer Art eingezäuntem Gehege, das Internierungslager sein kann, aber auch selbst installiertes Refugium, bearbeitet ein junger Mann mit freiem Oberkörper einen hellen Holzklotz mit Hammer und Eisen. Das Bild von 1989 heißt „Das Reservat“; im Jahr davor nannte Eisler das gleiche Sujet in wenig anderer Szenerie „Die Herstellung des weißen Königs“. Die Bilder können als Schlüssel zu seinem Werk gelten. Er bearbeitet ein Sujet, bis es vollends ausgeschöpft ist; die Szenerien sind klar, einfach und überschaubar; die eigentliche Geschichte aber ist das Bild hinter dem Bild. Das macht Eislers Werke spannend.

Gab es dafür ein Schlüsselerlebnis, eine Initialzündung? „In dem Sinne nicht. Aber ich bin einige Male in den USA gewesen, auf den Spuren von Edward Hopper und um zu malen. 1996 saß ich da in einem Hotelzimmerchen und an der Wand hing eine Reproduktion von Giotto. Die ruhigen klaren Formen haben mich sofort gepackt. Ich war dann in Siena und Florenz, habe Giotto und sein Umfeld studiert und entdeckte de Chirico und die Pittura Metafisica für mich.“ Reisen, um zu malen, das bestimmt immer noch Eisler Arbeitsweise: Südfrankreich und Italien, England und Schottland, Deutschland rauf und runter.

Ein anderes Selbstbildnis zeigt ihn mit schwarzem Hut und Staubmantel, unter einem Arm ein Buch, in der anderen Hand Pinsel – ein Reisender mit Philip-Marlowe-Touch. Es hat etwas Detektivisches, wenn er Ruinen, Burgen, Türme und Industrieanlagen aufspürt, um sie auf die Leinwand zu bringen. Immer wieder gewinnt Eisler ihnen neue Aspekte, Facetten, Dimensionen ab. Anscheinend sind es nur Brücken, Hochhäuser, Kinopaläste oder Tankstellen. Aber Eisler malt sie so, dass sie als Werke der Menschen erscheinen, die nach Nutzung zu Ehrwürden verklärt oder vom Verfall gezeichnet sind. Und meist ist in den Anlagen auch das Getümmel zu ahnen, das einst da herrschte. Das ist vor allem Eislers Farbkultur zu danken. „Die Schwere und Tiefe der Farbe waren schon ganz früh da… die konkreten Formen kamen viel später“, sagt Eisler. „Ich habe schon öfter versucht, optimistischer daher zu kommen. Aber es gelingt mir nicht.“

Kein Wunder: Wahrhaftigkeit hat ihre eigenen Kriterien. In seinen Bildern reflektiert Eisler Leben und Entwicklung, an den Königen auch Macht und Ohnmacht. Geckenhaft eitel oder archaisch brachial sind die Könige, oder sie erscheinen als hölzern statuarische Denkmale ihrer selbst; aber es gibt auch weise gewordene Despoten, gescheiterte und entmachtete. „Das sind Sachen“, meint er, „wo ich nicht sage, `das machst du jetzt´, da habe ich kein Programm; das kommt von selbst. Die Bilder finden mich.“

Den ersten „Königs-Zyklus“ schuf Eisler während des ersten Golfkrieges. Die Zeichen sind beredt, die Bilder sprechen. Er ist ein Philosoph, der nicht Bücher schreibt sondern Bilder malt. Darin kommt die Schwere zuweilen von einem Hauch Ironie beschwingt daher. Und aus seinen Landschaftsimpressionen leuchtet zuweilen die Blaue Blume.

Berlin, Oktober 2003

Für: DIE WELT, Januar 2004